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Monat: August 2018

Phlegmatnigker (Tocotronic – Gehen die Leute)

Phlegmatnigker (Tocotronic – Gehen die Leute)

Eine von mir sehr geschätzte Physiotherapeutin auf Station sagte zu mir: „So langsam wie du gehst, könnte man meinen, du erwartest etwas Schlimmes.“

Das stimmt.

Ich bin ein Langsamgeher. Habe das von meinem Großvater übernommen, der immer sehr gemächlich ging, ein Schritt nach dem anderen, ganz entspannt und ruhig. Der Tag hat 24 Stunden. Es gibt genügend Zeit. Aber halt nicht in einem Krankenhaus.

Langsam muss ich es mir eingestehen. Ich bin phlegmatisch. Früher habe ich mich über diese Langsamkeit, Verpeiltheit, ewige Müdigkeit eines guten Freundes gewundert, doch ich bin nicht anders. In der Arbeit musste und muss ich mir immer anhören, zu langsam zu arbeiten. Meine aktuelle Praxisanleiterin formuliert es höflicher: „Du arbeitest sehr bewusst.“
Wenn ich für Schule oder Studium lerne, müsste ich das Wochen vorher, weil ich lange brauche, neue Dinge zu kapieren, vor allem Dinge, die mich nicht interessieren. Ich bewege mich auch immer langsam. Immer. Auf der Straße werde ich von Rentnern und Kleinwüchsigen überholt. Im Boxen hieß es, man solle nach jeder Runde langsam in die Ringecke gehen, um Kräfte zu sparen und der gegnerischen Ecke nicht zu zeigen, wann man wirklich erschöpft ist. Außerhalb des Ringes zählt das nicht. Wer langsam geht ist schwach. Er kann mit dem Rudel nicht mithalten, kann nicht vor Gefahr flüchten, wird zerfleischt.

Mindestens zwei Jahrzehnte episodischer Depression, die mit massiver Antriebslosigkeit einhergehen, haben mein Gemüt verändert. Früher habe ich mehr geschafft, mehr versucht, war tatenfreudiger, unternehmungslustiger, war künstlerisch aktiver, hatte mehr Output. Heute, mit Endlichkeit konfrontiert und ausbleibender Anerkennung bzw. keinen positiven Auswirkungen meiner Arbeit (die ich – um die Paradoxie zu verdeutlichen – nicht mal veröffentliche), fehlt mir die Motivation. Ich bin immer noch kein gefeierter Superstar. Wieso auch? Meine Outputfrequenz ist nicht stabil genug, es mangelt an Persistenz.

Mir wurde geraten, ressourcenorientierter zu Denken, da ich viel auf dem Kasten hätte. Roger Buscapé Nigk macht alles in nervtötender Langsamkeit. Eine Welt, in der das nicht OK ist, ist nicht die Richtige für mich. Man sagt, hochsensible Menschen haben ein Problem mit zu vielen Reizen und sind schneller überfordert, wenn sie Dinge gleichzeitig machen müssen. Alles vielleicht ein Ausdruck meiner Langsamkeit, ich Sensibelchen.

Fick dich, Dirk.

„Selbstsucht ist zwar eine Grundschwäche aller vier Temperamente, aber der Phlegmatiker dürfte mit der größten Dosis gesegnet sein. Diese Schwäche führt über die Jahre zu Unentschlossenheit, die ihn hinter der Aktivität anderer zurückfallen lässt. Der Preis, den er zu zahlen hat, um etwas zu bekommen oder fertigzustellen, so wie er will, wiegt oft schwerer als sein Wunsch, es zu haben.“
Joyce Meyer, Traum statt Trauma (zitiert nach Wikipedia, „Phlegmatiker“)

Beleidigte Pflegerwurst

Beleidigte Pflegerwurst

Kann sein, dass ich mich immer und immer wieder wiederhole, weil ich einfach nicht mehr weiß, was ich hier und an anderer Stelle über meine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger geschrieben habe. Was soll’s.

Geht es um Genderkacke, radikalen Feminismus und das alles, rege ich mich oft darüber auf, dass manche Menschen einfach viel zu empfindlich ist. Dieser Blog-Beitrag legt offen, was für ein Sensibelchen ich bin.

Meine Zwischenbewertung des vierwöchigen Praxisblocks in der Onkologie sollte am 29.06. laufen. Ich kann mich nicht daran erinnern, warum es an diesem Tag nicht klappte. Die für mich zuständige Pflegekraft hatte nicht daran gedacht und ich hatte nicht daran gedacht. Sie war scheinbar auch nicht darauf vorbereitet (sprich: sie hat sich nicht die Mühe gemacht, andere Pflegekräfte über mich auszufragen), sonst hätte sie mich sicher darauf angesprochen. In Einigung mit meiner Klassleiterin teilte mir die Stationsleitung mit, ich habe zwar ein Zwischengespräch, aber nicht mit Bewertung. Das ist völlig okay. Auf meine Praxisnote im Zeugnis wird das nicht viel Einfluss haben. Außerdem war heute eine Stationsbesprechung mit fast dem gesamtem Team. Ich denke nicht, dass ich wichtig genug war, ein Punkt auf der Agenda zu sein, aber sie hat sich durchgefragt. Zeigte ihr im Vorfeld eine Liste an Pflegekräften, mit denen ich gearbeitet hatte und die sie über mich ausquetschen konnte. Ich bin da entgegenkommend, das macht sonst niemand.

Spätschicht. Was fühlte ich mich gut. Ich arbeitete viel und korrekt, hielt den examinierten Pflegekräften den Rücken frei und bespaßte die Patienten. Als einziger Schüler auf einer Station ist es my time to shine. Ich genieße das. Fast schon hatte ich so viel Selbstvertrauen, dass ich mir ausmalen konnte, nach dem Examen komplett frei arbeiten zu können. Selbstkritisch wie ich bin, sind das eher kurze traummalerische Höhepunkte, deswegen kostete ich das richtig aus. Erinnerte mich daran zurück, wie ich am Anfang dieses Praxisblocks  daran dachte, die Ausbildung abzubrechen. Alles in mir verlangte danach. Ich war völlig überfordert, drohte unterzugehen in den ganzen schriftlichen Arbeiten, Prüfungsvorbereitungen und dem Einarbeiten in diese völlig ungewohnten Abläufe der neuen Station (dort wird einiges anders gehandhabt und meiner Meinung nach nicht zum Besten – Aushilfskräfte die dort anfangen, bestätigen mir das u. a. durch ihr Stirnrunzeln, wenn sie eingearbeitet werden). Aber ich weiß, dass ich nicht nochmal flüchten kann. Kein Ausweg mehr. Ich hatte mich nach mehr als einem Jahr Bedenkzeit für die Pflege entschieden und bin jetzt in ihr gefangen. Mindestens bis zum Examen.

Wie so oft wurde das Gespräch an das Schichtende verlegt, vorher fand sie in den ruhigen Momenten keine Zeit (Raucher müssen rauchen). Es begann damit, dass ein Zwischenziel („Grundpflege routinieren“) in den „Endzielen“ (doofes Wort) auf einmal um „+ Prophylaxen“ erweitert wurde. Ich beherrsche die Prophylaxen. Das als Ziel nachträglich aufzunehmen kommuniziert ungerechtfertigerweise, dass ich da Nachholbedarf habe. Doch egal, ich möchte nicht soooooo kleinlich sein.

Sie sagte danach: „Du hast mir ja am Anfang des Praxisblocks schon gesagt, dass du oft unmotiviert wirkst, oft langsam bist usw.“
Korrekt. Ich habe ihr auch das „Warum“ erklärt. Ich wirke unmotiviert, weil ich mit mir selbst unzufrieden bin, an meinen eigenen Ansprüchen scheitere und es gerne besser machen würde (sie ist da genauso). Ich versuche weniger Angriffsfläche zu bieten, indem ich mich zurückhalte. Auf andere wirkt das, als sei ich unmotiviert. Deshalb wünschte ich mir explizit Anleitungen. Diese Erklärung hat sie komplett vergessen. Bei ihr blieb nur hängen: „wirkt unmotiviert“. Ebenfalls erklärt habe ich ihr, dass ich langsam bin, weil ich versuche schulisch zu arbeiten und weil ich mich nicht hetze, wenn es gerade nicht viel zu tun gibt oder eine Aufgabe nicht sehr dringlich ist. Aber ich bat explizit darum mich bitte wissen zu lassen, wann ich richtig Gas geben solle, denn scheinbar kapier ich’s einfach nicht, wenn Not am Mann ist. Ich hatte nie den Eindruck, Arbeit liegen zu lassen, also schien mein Arbeitstempo angepasst. Damals sagte sie noch dazu: „Das ist auch gut so, nicht zu hektisch zu arbeiten. Alle die sich so durchhetzen, haben später ein Burn-out.“

Sie weiter: „Wenn du das schon weißt, warum tust du nichts dagegen?“
Ja, warum eigentlich? Warum wird ein Depressiver nicht einfach fröhlich? Zu wissen und selbst benennen zu können, dass man etwas nicht kann, bedeutet den ersten aktiven Schritt zur Änderung. Mich umzukrempeln passiert nicht über Nacht! Ich wünschte mir etwas mehr geführt zu werden, geteilte Erfahrungen der Profis zu erhalten, die auf meine eigene, individuelle Situation passen. Ich wünsche mir das in jedem Praxisblock und nichts geschieht.

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