Perfuktionist

Perfuktionist

Ist Perfektionismus eine Angst vor Fehlern, Angst vor Kritik, schlechter Bewertung? Ist mein „Soll“ ein „Muss“ und selbst auferlegte ewige Quelle von Leid, da das „Ist“ dieser verzerrten Realitätsvorstellung niemals entsprechen kann?

Meine Großmutter und mein Vater verknüpften ihre Liebe nicht mit meiner Leistung. Klar, vor allem Oma freute sich darüber, wie positiv ich als Kind auf andere wirkte, was ich in der Schule und auch privat alles hinbekam. Noch heute sagte sie: „Wie schaffst du denn das alles?“ Und als ich anfing in der Schule Sechser zu schreiben und sogar meine Versetzung gefährdet war, wurden sie nicht böse. Mundwinkel wurden verzogen, aber es war kein Grund für Drama.

In meinen 32 Jahren habe ich tatsächlich ein paar Dinge erreicht, war Schul- und Landkreisbester in zwei Schulabschlüssen, hatte den besten Ausbildungsabschluss in der Agentur, in der ich arbeitete. Und doch brachte es mich nicht weit. Es gibt Leute, die mit ihrem Qualifizierenden Hauptschulabschluss deutlich mehr Geld verdient haben als ich, während ich zwei Studiengänge abbrach, den Arbeitsplatz wechselte, arbeitslos herumdümpelte, von einer Beziehung in die nächste sprang und eigentlich bis heute gar nicht richtig weiß, wo ich hin will. Nirgends empfinde ich mich als „angekommen“, geschweige denn „angenommen“. Deswegen habe ich Angst, Angst davor, mein Leben zu verwirken bzw. verwirkt zu haben. Was ich dagegen tue? Natürlich nichts, was Sinn macht.

Alles soll richtig laufen. Ich sehe meine aktuelle Ausbildung und das Studium als letzte Möglichkeit, noch irgendwie Fuß zu fassen. Was ich dafür mache:

  • Überorganisieren! Ich organisiere und ordne mehr als sinnvoll ist. Das Zeit-/Nutzenverhältnis ist vollkommen verzogen.
  • Mich überarbeiten! Nicht nur einmal hörte ich von Leuten, die es wissen müssen, dass ich auf einen Burn-out zusteuere, wenn ich so weiter mache. Aber alles muss richtig laufen und fertig werden, egal ob ich bis 2 Uhr nachts arbeiten muss und im besten Fall dann nur zwei Stunden Schlaf bekomme. Dabei mache ich nicht selten mehr als gefordert.
  • Mich stressen! Vor Leistungsnachweisen, Praxiseinsätzen, unbekannten Situationen.
  • Aggressiv werden! Gegenüber Menschen, die mich aufhalten, z.B. indem sie uns fachlich und faktisch falsche Dinge unterrichten, jedoch meistens wegen mir selbst.
  • Anderen helfen! Noch bevor ich mit meinen Sachen fertig bin, womit ich natürlich Zeit verplemper. Aber irgendwie scheint es mir wichtig, auch andere mitzuziehen, die weniger können als ich. Ist doch klar, dass ich mich damit nur noch mehr aufarbeite?
  • Extrem langsam arbeiten! Ich bin langsam. War noch nie ein schneller Arbeiter und habe mich noch nie schnell bewegt, außer beim Boxtraining vielleicht.
  • Prokrastinieren! Ohne verficktes Ende. Als MÜSSE ich unbedingt meine DVD- und Blu-ray-Sammlung neu ordnen, bevor ich mich an eine Arbeit setze, die ich noch kaum angefangen habe, deren Deadline aber schon übermorgen ist. Als wolle ich mein Scheitern vermeiden, indem ich Scheitern provoziere (was ich nicht abgebe, kann nicht bewertet werden – yup, macht voll Sinn).
  • Mich schlecht machen! Egal, welche Erfolge ich feiern könnte, ich finde Gründe, warum es doch nur Zufall oder ungerechtfertigt war.
  • Nie zufrieden sein! Eine 2 ist eine Weltuntergang für mich. 1er kann ich nicht würdigen, wenn ich nicht die volle Punktzahl habe, obwohl das am Ende komplett egal ist.
  • Mich mit anderen vergleichen! Wehe ich bin nicht der Beste.

Mein Blog leidet auch darunter. Viele Beiträge bekomme ich einfach nicht fertig oder sie benötigen Tage, weil ich sie noch oft durchlesen muss, bevor ich sie online stelle.

Andere Kunstprojekte liegen brach. Ich hatte so viel vor und mache es einfach nicht. Ich beraube die Welt um meinen kleinen Beitrag. Und wenn es auch nur mir nahestehende Personen erreicht, so ist das doch genug? Das habe ich vollkommen aus den Augen verloren und dieser Blog-Beitrag hier erinnert mich daran. Ich muss mich an den Spaß erinnern, den ich dabei immer hatte und jegliche kommerzielle Interessen daran in mir zerstreuen. Mut zur Imperfektion. Deswegen, werde ich diesen Blog-Beitrag hier nicht mehr durchlesen und ergänzen, sondern ihn so lassen – mit all seinen (Denk-)Fehlern.

~ Nein, ich will nicht, dass du ihn kommentierst. ~

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