Tinder-Träume Teil 2 (Erstes Date, 24.04.2018)
Sie hasse es auf Kellner warten zu müssen (no shit?). In China liefe das ganz anders.
„Ich hatte dich ja zum Chinesen eingeladen, aber du wolltest nicht.“
„Deine Chinesen sind in Deutschland, die sind genau so. Das Essen ist auch schrecklich.“
„Ähm, es ist Chinesisch.“
„Es ist deutsches chinesisches Essen. It’s so different and terrible.“
Später bekam ich dann einen Hinweis darauf, welche Art chinesischen Essens sie so bevorzugte (ein Grapefruitsaft-farbener Mund, für den man, bei europäischen Essgewohnheiten, schon einen ganz besonderen Fetisch braucht, um ihn küssen zu wollen).
Ihr Teller war leer. Was für eine Frechheit, dass nicht prompt jemand zum abkassieren kam! Sie stand auf und hielt demonstrativ ihren Geldbeutel vor sich her. Zuerst versuchte sie es beim Barkeeper („Da kommt gleich jemand zu Ihnen.“). Dann hielt sie eine uns fremde Kellnerin auf („Kollegin kassiert gleich bei Ihnen ab.“), um es danach sofort bei der nächsten zu versuchen („Entschuldigung, ich bin nicht für Sie zuständig.“). Der Kellner, der uns anfangs von der Bar wegbringen wollte, verschwand hinter einem Vorhang, als sie Blickkontakt aufnahm und zu ihm stürmte. Ich sagte ihr, dass wir uns einfach noch setzen sollten. Unsere Kellnerin rannte den ganzen Abend ständig an uns vorbei. Das würde definitiv nicht aufhören, bis wir unser Geld bei ihr loswerden konnten. Abkassiert wurden wir dann dennoch von einem völlig anderen. Trinkgeld gab sie keines. Nicht nach ihrer Pfeife zu tanzen wird bestraft.
Kühle Nachtluft entschleunigte den von ihr ausgehenden, konstant hetzenden Vibe. Seite an Seite gingen wir durch schmale Gassen. Nein, sie wolle sich nicht einhaken, sagte sie und wickelte ihre Tasche einmal mehr um ihren dürren Arm. Schon hier hätte ich interpretieren können, dass sie mich einfach schnell loshaben wollte, nur sollte das Date über zwei Stunden dauern, obwohl wir beide am nächsten Tag früh aufstehen mussten. Festgehalten wurde sie keine Sekunde von mir – ließ sie ja gar nicht zu.
Auch draußen unterhielten wir uns viel, preschten durch viele Themen. Sie ließ mich durch ihre interessanten, ungewohnt in die tiefe bohrenden Fragen reflektieren, über mein Fernweh, meine beruflichen Pläne, meine Ideen zur Abschlussarbeit als Basis bis zur Promotion („You want to go for a PhD?! You know what PhD stands for? Permanent head damage.“). Hier und da rüttelte sie an meinem Traumturm, prüfte, ob sie ihn leicht einstürzen oder wenigstens ins Wanken bringen konnte. Mir gefiel das.
Durch einen Moment kurzer Stille, schritt sie geradewegs Richtung einer zerbrochenen Bierflasche, maskiert durch das Muster dreckigen Kopfsteinpflasters. Ich wollte sie nicht mit ihren dünnen Slippern in die Scherben rennen lassen, also griff ich behutsam in ihre Ellenbeuge, was sie heftig von mir wegzucken ließ. Wäre sie nicht durch eine Hausmauer aufgehalten worden, hätten wir hierfür eine Distanz von 50 Metern überschreien müssen:
„Warum erschrickst du? Da waren Scherben. Wollte nicht, dass du reintrittst.“
„Hab sie schon gesehen.“
„Hast du nicht, du bist voll reingetreten.“
„Bin ich nicht.“
„Ich hab die dicken Scherben knacken hören.“
FeministInnen platzt hier wahrscheinlich gleich eine Halsvene. Warum musste ich sie berühren, wenn ich ihr einfach hätte sagen können, dass da Scherben liegen! Hier würde ich FeministInnen entgegen, dass Berühren nicht gleich Vergewaltigen ist, auch wenn manche von ihnen, getreu einer männerfeindlichen Agenda, schon bloße Blicke darunter verbuchen möchten.
„Hier wird’s eng. Ich lass dich vor.“ Eine Baustelle schnitt uns den Weg ab. „Guck, ohne Berühren. Ganz Gentleman.“, scherzte ich.
„Weißt du woher ‚Ladies first‘ kommt?“
„Erzähl.“
„There was a king who lived in fear of being assassinated. So, everytime he had to enter a new place, he sent the queen to go first, so she would be killed first, leaving him the momentum to run away. When everyone saw, that a powerful man like the king was modest enough to let the queen come in first, they thaught, oh, what a chivalrous thing to do, and adopted it.“
„This sounds absolutely like me. I only let you go first, so I can avoid broken glass.“
Hatte ich schon erwähnt, dass mir ihr Lachen gefiel?
20 Minuten bis zum nächsten Bus. Ihrer nach Hause, gleichzeitig meiner zum Parkplatz meines Motorrads. „Du wirst mir sicher hinterherfahren“, meinte sie, wohl spaßig gemeint, aber klar ersichtlich mit ernster Befürchtung. „Du hast keine Ahnung wie teuer Sprit ist, oder? Am Ende sagst du noch, ich solle dich vor deine Haustür fahren“, sagte ich.
Sie nutzte die Zeit mich weiter auszufragen. Aus ihr war nur wenig herauszubekommen, das hatte sich von Tinder-Chat bis hier nicht geändert. Und wenn sie etwas erzählte, konnte ich mir nach ihrer Marketing-Lüge nicht sicher sein, ob es überhaupt stimmte. Nach Japan wolle sie, was ich vor dem geschichtlichen Hintergrund interessant fand. Allgemein machte sie nicht den Eindruck, einen Plan oder ein Ziel zu haben. Oder sie ging den müheloseren, zugleich absichernden Weg und verheimlichte mir alles, denn es war absolut klar, wir würden uns nicht noch einmal treffen.
Es war der letzte Bus für heute. Drinnen saß eine dunkelhäutige, sehr hübsche Frau, deren süße Brustwarzen sich durch ihr Shirt pausten. Ihr strenger, taxierender, uns beide nicht Willkommen heißender Blick verwunderte mich ein wenig. Dass sie ihre Sitzposition veränderte, um unser Gespräch besser zu hören, auch.
Gegen Ende waren unsere Dialoge von unspezifischem, uninspiriertem, leicht ablenkbarem Inhalt. Wie sie mitten in meinem Satz einer Werbetafel laut kommentierte Aufmerksamkeit schenkte, sollte mir wohl endgültig verdeutlichen, wie satt sie mich hatte. Ich wollte unbedingt noch ein Hobby aus ihr herauskitzeln, irgendetwas, das sie tat, wenn sie nicht arbeitete oder lernte.
„Essen.“
Dieses Mädchen wog vielleicht 50 kg bei einer Größe von 1,70 m. Essen war scheinbar ein stark vernachlässigtes Hobby.
„Nein, wirklich. I love eating.“ Könnte ich nur einen Euro bekommen, jedes Mal, wenn eine sichtlich stark untergewichtige Person diesen Satz zu mir sagt … Ihre näheren Ausführungen kamen auf Englisch und ich konnte erstmalig nachvollziehen, warum sie die Sprachkassette wechselte. Das musste nicht jeder mitbekommen und dass die hübsche Dunkelhäutige sich außer Hörweite wegdrehte und sich – als wolle sie sich schnell abkapseln und vergessen – Kopfhörer ins Ohr steckte, bestätigte das.
„When I was a little child, my favorite food where bunnies.“
„I never ate rabbit. How does it taste?“
„I don’t know if you would eat what I loved so much about them.“
„You make me curious, yet apprehensive.“ (Ich wusste nicht genau, wie man das letzte Wort ausspricht, geschweige denn, ob es wirklich ausdrückte, was ich sagen wollte. Aussprache war falsch, Aussage war korrekt.)
„I loved the baby bunnies.“
„So you played with the babies and ate their parents? That’s gruesome.“
„No, I never played with my food.“
„You what?!“
„I ate the baby bunnies’ brains. That’s what I loved so much about them.“ Respekt an denjenigen, der an dieser Stelle einen lockeren Spruch gebracht hätte. Ich sagte nur, dass ein ehemaliger Kommilitone sich mal mächtig über chinesische Essgewohnheiten aufgeregt hat.
„… aber andere Länder, andere Sitten.“
„He never tried the brain of a baby bunny, I guarantee you that. They are delicious.“
„Oh man, I’m so glad this date is over, ’cause when you noticed my brain is of the size of a baby bunny ones, you would crack my head open for a desert after our great Italian dinner.“
Keine Ahnung, ob das überhaupt korrektes Englisch war, das ich da von mir gab. Sie verstand es und schenkte mir noch einmal dieses leicht schüchterne, freundliche, ehrlich wirkende Lachen.
Klamotten wie sie nicht mal als Homewear durchgehen, ungewaschenes Haar, ein blaues Mus-Bein, das die Fliegen anzieht, unfreundliches/ungeduldiges Verhalten gegenüber Personal der Gastronomie, auf den Esstisch spucken, Verschlossenheit, Zusammenzucken, verfickte Hasenbabyhirne … aus einer anderen Perspektive betrachtet könnte man meinen, ihre gesamte Art mir gegenüber war darauf abgerichtet, mich in die Flucht zu schlagen, nur, damit sie selbst nicht das Date abbrechen musste (das ist etwas, das ich von Anfang an kommuniziere: Ein Date mit mir kann ohne Konsequenzen jederzeit abgebrochen werden; ich traue es einer erwachsenen Frau zu, diese Option im Falle eines Falles wahrzunehmen).
Mich wegekeln, völlig falsche Taktik. Sie amüsierte und unterhielt mich zu gut. Ich hielt sie dafür nicht fest. Sie hätte, wie gesagt, jederzeit gehen können. Alles in mir hat geschrien, dass das mit ihr nichts wird bzw. es nicht wert ist. Aber die Show war eben einfach zu gut. Bizarre Menschen sorgen für interessante Erlebnisse, Zuwachs an Erfahrung, ein Mehr an Menschenkenntnis. Mein gesamtes Leben basiert auf bizarren Menschen. Ich war entspannt, lustig, habe vielleicht nicht immer den richtigen Ton getroffen, doch das war auch absolut nicht das Ziel hier irgendwas zu drehen, so eigenartig die Gesamtsituation war.
Aus reiner Neugier oder als wolle ich meine Verführungsfähigkeiten dadurch validieren, dieses Mädel noch irgendwie rumzukriegen (hahahahaha!), fragte ich sie, ob es Aussicht auf ein zweites „Meeting“ gebe, so sehr scheute ich mich davor, es Date zu nennen. Sie sagte, sie mache es davon abhängig, ob sie heute gut oder schlecht träume. Wieder wurde meine Umarmung nicht angenommen und da fiel mir auf, was meine Frage nach einem zweiten Treffen so hochgradig weird machte: In allen vorherigen Dates musste ich das nie fragen. Man hat sich geküsst, hatte vielleicht schon Sex, machte vor Ort völlig automatisch das nächste Date aus oder ich bekam eine Nachricht, wann man sich wieder treffen wolle. Hier stellte ich mir nur die Frage: Wie kommt sie darauf, ich könne dem Bus hinterherfahren? Bis ich mich umzog und zu meinem Bike ging, hat sie schon längst ihr Studium abgebrochen und ist nach Japan ausgewandert. Ein komisches Ding.
Tja, hat dann wohl schlecht geträumt. Sie entmatchte mich und nein, ich bin wirklich nicht sauer.
Fazit: Danke an den FC Bayern München, dass ihr Spiel mein Lieblingscafé blockierte und mein Date so nicht dazu kam, alle Kellnerinnen und Kellner zu vergraulen. Danke an mein Date, dass ich einen sehr interessanten Abend mit ihr verbringen durfte und jetzt neugierig auf diese chinesische Köstlichkeit bin:
„They are delicious.“