Google-Rezensionen von Krankenhäusern & Pflegeheimen
Such das Krankenhaus, in dem du zuletzt warst oder in dem du arbeitest, mal in Google. Wie hieß nochmal das, in dem deine Eltern Patienten waren? Frag die doch mal, wie das Pflegeheim heißt, in dem deine Großeltern sind, die du viel zu selten besuchst. Nein, ist nicht peinlich, dass du den Namen vergessen hast. Zumindest weißt du noch, wie deine Großeltern mit Vornamen heißen, oder? Oder?!
Sorry. Wollte niemanden shamen, dem alte Leute egal sind. Such die Krankenhäuser und Pflegeheime in Google, oder such irgendwelche, und schau dir mal die Google-Rezensionen an. Gibt es eine weit klaffende Schere zwischen sehr guten und sehr schlechten Reviews? Welcher Balken ist größer? Der, der 5-Sterne oder der, der 1-Stern-Bewertungen? So viele Leute, die hochzufrieden und wieder gesund sind. Vermutlich noch mehr, die sich aufs übelste beschweren, denn es schimpft sich viel leichter, als dass man sich die Zeit nimmt, zu loben. Der 10er in der Kaffeekasse des Pflegepersonals muss doch reichen, wenn alles gut geklappt hat.
Ich leide natürlich fürchterlich unter den Zuständen, unter denen ich arbeiten oder als Patient gesunden muss. Deswegen halte ich mich nicht zurück und beschreibe in Google-Rezensionen so gut wie möglich objektiv, was da alles so im Argen liegt. Ich finde, als Pflegekraft und ehemaliger Patient, habe ich eine besondere Perspektive auf das Ganze. Es waren mehr als eine Station in mehreren Einrichtungen, in denen ich bislang gearbeitet habe. Ein paar Altenheime sind mir auch bestens bekannt.
Meine letzte schlechte Rezension ist ein bisschen mehr als ein Jahr her. So lang hat es gedauert, bis auch diese von vielen durch Google aus dem Netz gelöscht wurde.
Die an mich von Google gesendete Benachrichtigung liest sich jedes mal wie folgt:
Google hat eine Beschwerde über die nachfolgende(n) URL(s) aus den folgenden rechtlichen Gründen erhalten: Diffamierung
Nach einer Überprüfung informieren wir Sie hiermit darüber, dass wir folgende Entscheidungen getroffen haben:
Betroffene Inhalte: Beitrag
Rechtsprechung: Deutschland
Verstößt anscheinend gegen: Diffamierung
Folge: Zugriffsbeschränkung
Unten finden Sie die betroffene(n) URL(s). Aus diesem Grund sind wir gerade dabei, die angegebene Maßnahme auf die betroffenen Inhalte bei Google Local Reviews für Nutzer weltweit anzuwenden.
Ich kann euch jetzt natürlich viel erzählen. Vielleicht war ich ja diffamierend?
Lest selbst eine meiner inzwischen gelöschten Rezensionen:
„Personaluntergrenzen verschiedener Stationen werden ignoriert und damit Patient:innen wie Pflegekräfte in Gefahr gebracht. Pflegeschüler übernehmen zusammen mit Praktikanten Bereich, da die Wirksamkeit der Systeme des Einspringens durch zu hohe Krankenheitstage des Personals schlichtweg verpufft. Das Krankenhaus kalkuliert mit dem Zahlen von Geldstrafen (z.B. auch bei passierenden Pflegefehlern, sofern diese überhaupt in einem Rechtsstreit resultieren) und sieht dies als geringeres Übel statt dass Sperren von Betten. Sind Stationen dennoch gezwungen, Betten zu sperren, geschieht dies nicht zur Entlastung des Pflegepersonals, sondern erhöht die Patient:innen-pro-Pflegekraft-Ratio deutlich, inklusive enormer Arbeitsverdichtung. Essenspausen für Pflegekräfte entfallen oft. Vereinzelt stempeln Pflegekräfte frühzeitig aus, arbeiten jedoch weiter, um nicht die bereits ohnehin extreme Überstundenanzahl weiter aufzustocken (Überstunden sind von Leitungen nicht gern gesehen und Personal wird angetrieben, diese wenig gewinnbringend auszahlen statt abfeiern zu lassen). Sollten Sie Patient:in sein, haben Sie bitte Verständnis für das überarbeitete Pflegepersonal. Und schauen Sie bitte genau nach, ob sie denn tatsächlich die richtigen Tabletten und Infusionen bekommen – nur für den Fall, sie erwischen eine Pflegekraft in der 5. Nachtschicht ihres 12. Arbeitstags oder bei ihrem dritten Spät-Früh-Wechsel des Monats.“
Wer in der Pflege arbeitet, nickt vielleicht mit dem Kopf und sagt „Naja, so ist das wirklich.“ Vielleicht hätte ich auch nicht schwammige, nicht sehr objektive Wörter wie „enorm“ und „extrem“ nutzen müssen. Die Realität ist natürlich eine andere für Klinikleitungen, Marketingabteilungen, Reputation Manager und Rechtsanwälte. Geld flüstert laut, bis die Augen nicht mehr sehen, was sie sehen müssten.
Für mich waren Google-Rezensionen eine Form des kleinen Widerstands, des Aufmerksammachens auf Missstände in der Pflege. Oder zumindest ein kleines „Fuck you“ an all die Ausbeuterschweine, von denen ich mich hautnah ausnutzen lassen durfte, egal ob als Pflegekraft oder Patient.
Mein Google-Konto ist nun zeitlich gesperrt. Ich kann aktuell keine Rezensionen mehr für von mir behelligte Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen schreiben. Wenn es mich erwischt, dann sicher auch tausende andere Negativ-Rezensionen. Beobachtet mal die Entwicklungen auf Google. Im Grunde ist das nichts anderes als die weitere Normalisierung von Fakeness und Fake News. Ich finde das nicht unspannend.
1 zu 0, liebes Gesundheitswesen. 1 zu 0.